Archiv für den Monat März 2011

Das Altanschließer-Antikonjunkturprogramm

Vielleicht konnte sich niemand so recht vorstellen, dass die Altanschließerregelung für Schmutz- und Trinkwasser mit erheblichen finanziellen Belastungen nicht nur für private Grundstückseigentümer sondern auch für Betriebe, Kommunen und Landkreise verbunden sein werden. Vielleicht haben auch die wenigsten Politiker verstanden, was sie mit der Verabschiedung bzw. Novellierung des Kommunalabgabengesetzes anrichten werden. Empfehlenswert ist die Lektüre dieses Gesetzes, seiner Verwaltungsvorschrift und der Rundschreiben des Ministeriums des Inneren des Landes Brandenburg auf der Internetseite www.mi.brandenburg.de unter dem Stichwort  „Altanschließerproblematik“. Danach wissen sie, dass alles gesetzlich geregelt ist und durch Urteile des OVG Berlin-Brandenburg untermauert wurde. Für die Politiker gibt es angeblich keinen Spielraum, einmal verzapften Unsinn wieder zu korrigieren. Der politische Wille hierzu hält sich offenbar in Grenzen, weil erst SPD und CDU und mit Regierungsbeteiligung nun auch die Linke Fehler eingestehen müssten. Wer übernimmt die politische Verantwortung für diese Regelung und stellt sich den empörten Bürgern?

Wir haben in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger schmerzlich erfahren und akzeptieren müssen, dass zwischen Recht haben und Recht bekommen ein gewaltiger Unterschied besteht. Dies darf uns jedoch nicht daran hindern, Ungerechtigkeiten anzuprangern. Es handelt sich nicht um Gottes Gebote sondern um von Politikern erlassene Gesetze und Richtern verfasste Urteile. Diese können fehlerhaft und unrichtig sein.

Zwei Urteile des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg, das letzte am 12. Dezember 2007, stellten klar, dass im Sinne des Kommunalabgabengesetzes die Zweckverbände als kommunale Körperschaften alle bevorteilten Bürger in gleicher Weise an den Finanzierungen der nach 1990 entstandenen wasserwirtschaftlichen Anlagen beteiligen müssen.

Für die Finanzierung der wasserwirtschaftlichen Anlagen nach 1990 haben die Zweckverbände schlüssige Kalkulationen aufgestellt, die eine Refinanzierung aus den zu erwartenden Einnahmen sichern. Nachträgliche Gebührenerhebungen an Altanschließer konnten nicht in die Kalkulationen einfließen, da es dazu keine Grundlage gab. Alle bevorteilten Bürger waren und sind über ihre gezahlten Wasser- und Abwasserrechnungen in geplanter und gleicher Weise an der Finanzierung beteiligt!

Das Argument, den unplanmäßigen Geldsegen für die vorzeitige Tilgung von Krediten einsetzen zu wollen und um eventuell Gebührensenkungen für alle zu finanzieren, schafft neues Unrecht. Warum sollen denn Grundstückseigentümer mit ihrem Geld für eine Gebührensenkung aller anderen Anschlussnehmer aufkommen?

Nach Zahlung der Gebühren hat der Altanschließer keine Veränderung in Qualität und Umfang seiner bisherigen Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung. Er bekommt für sein Geld keinen Gegenwert. Es gibt keine Werterhöhung seines Grundstückes, weil es keine Veränderung gibt.

Zitat aus dem Rundschreiben des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 8. Februar 2011 zur Aufklärungsarbeit auf kommunaler Ebene:

Punkt 7. „Die Beitragsforderungen sind unsozial und gefährden die Existenz betroffener Grundstückseigentümer.“

„Die Beitragsforderungen richten sich an Eigentümer und bestimmte Nutzungsberechtigte von Grundstücken. Die Beiträge werden als Gegenleistung für die Vorteile erhoben, die ihnen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage bietet.“

Wie wollen sie dies jemandem erklären, der z. B. seit über 60 Jahren an die zentrale Wasserversorgung und das Abwassernetz angeschlossen ist, stets seine Rechnungen pünktlich bezahlt hat und nun über 3.000,00 € Zusatzbeitrag zahlen soll? Dabei ist zu beachten, dass dieser Betrag innerhalb von 4 Wochen nach Eingang zu bezahlen ist. Danach werden sofort Verzugszinsen fällig.

Wenn es die Lage oder die Umstände erfordern, wird selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geändert. Der Verweis der Politiker auf die Unmöglichkeit der Veränderung der gesetzlichen Regelung für die Inanspruchnahme aller als „Altanschließer“ bezeichneten Grundstücksinhaber ist nicht akzeptabel. So wie es keine Grenzen bei der Kreativität im Ausdenken neuer Abgabenquellen gibt, lassen sich auch Wege für eine verträglichere Regelung auf dem Gebiet der Altanschließer finden. Man muss es nur wollen! Hierzu gibt es nur einen Weg – es muss von allen Betroffenen Druck aufgebaut werden. Der juristische Weg führt wenn überhaupt nur zu minimalen Teilerfolgen für wenige. Wir brauchen eine Neuinterpretation des Kommunalabgabegesetzes für alle.

Wer ist denn alles betroffen? Etwa nur die privaten Grundstückseigentümer – nein Firmen und Kommunen werden in gleicher Weise zur Kasse gebeten. Hier finden wir als Gewerbeverein unseren Ansatz zum Protest. Es wird ja nicht Geld kassiert um neue wasserwirtschaftliche Anlagen zu schaffen und Arbeitsplätze auf dem Bau und in der Industrie zu sichern, die Anlagen sind längs gebaut. Den Grundstücksbesitzern und Gebäudeeigentümern wird das Geld entzogen, das sonst für Reparaturen, Neu- und Erweiterungsbauten oder energetische Sanierungen verfügbar wäre. Den Wohnungsverwaltungen wird der Spielraum für notwendige Reparaturen und Instandsetzungen genommen. Die Städte und Gemeinden sind finanziell bereits am Limit. Wenn Wildau mit 800.000 € Beitrag rechnen muss, kann dieses Geld nicht für soziale Projekte, Vereine, Sportgemeinschaften oder die Sanierung von Kindereinrichtungen eingesetzt werden. Die 800.000 € kommen aber nicht von irgendwo her, sondern aus gezahlten Steuern und Abgaben aller Bürger. Aus einer für einen kleinen Kreis betroffener Grundstückseigentümer gedachten Belastung wird ein Schaden für die Allgemeinheit. Den Handwerkern werden die Aufträge fehlen, Mieter müssen auf verschobene Sanierungsmaßnahmen warten und die Leistungen der Städte und Gemeinden für ihre Bürger müssen gekürzt werden.

Dies ist ein Antikonjunkturprogramm erster Klasse für viele Millionen Euro und unsozial für alle Bürger!

Sollten nun nicht alle Wut bekommen? Müssen wir uns wieder damit abfinden, weltfremd regiert zu werden? Haben Politiker nicht geschworen, Schaden von uns abzuwehren?

Die Protestveranstaltungen des VDGN in Königs Wusterhausen haben gezeigt, dass sich hier nicht nur einige uneinsichtige Grundstückseigentümer ungerecht behandelt fühlen. Es werden Massenveranstaltungen, von deren Teilnehmerzahl ein Landespolitiker bei seinen Wahlkampftauftritten nur träumen kann. Der Landkreis und viele Bürgermeister unterstützen die Proteste, halten die Regelung für ungerecht. Was ist das für eine Landesregierung, die mit Rundschreiben auf die Durchsetzung der Altanschließerreglung drängt und alle Proteste ignoriert?

Der Vorstand des Gewerbevereins Wildau möchte mit dieser Wortmeldung zur weiteren öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Altanschließer“ aufrufen.  Es wäre angezeigt, wenn die verantwortlichen Politiker endlich öffentlich zu den unüberhörbaren Protesten  Stellung beziehen.

Politikverdrossenheit anzumahnen ist eine Sache, sie zu erzeugen eine Andere.

Der Vorstand des Gewerbevereins Wildau e.V.

Autor Harry Schoefer

(ungekürzte Fassung; veröffentlicht am 2.3. 2011 in der Märkischen Allgemeinen Zeitung)